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Hilde Leiss Galerie in Hamburg.Ein Artikel von Lutz Wendler im Hamburger Abenblatt

Aug 14th 2019, 14:15 - Permalink

" Wer die Galerie Hilde Leiss am Großen Burstah 38 erstmals betritt, ahnt nicht, worauf er sich einlässt. Der Blick auf das mit Schmuck dekorierte Schaufenster und in den kleinen Ladenraum mit zahlreichen Vitrinen lässt zwar sofort erkennen, dass hier ein ungewöhnliches Angebot von Goldschmiedearbeiten auf die Kunden wartet — doch ist dies nur das Entree zu einer Wunderkammer des Kunsthandwerks, in der staunende Besucher wie in einem reich bestückten Museum ein wenig die Zeit vergessen können, sobald sie die hinteren Räume zu erkunden beginnen. Der Rundgang bis in die Galerieräume, die parallel zum vorderen Laden wieder auf den Burstah hinausgehen, eröffnet in mehrfacher Hinsicht neue Perspektiven, denn hinter jeder Ecke warten Überraschungen. Und es ist nicht allein die barocke Fülle der ausgestellten Unikate, sondern auch deren stilistische Vielfalt und Qualität, die das Ganze zum anregenden Ausstellungsbesuch machen.

Die Kunstkammer am Großen Burstah verrät viel über das Wesen der Galeristin, über Mut, Offenheit und Großzügigkeit — Eigenschaften, ohne die Hilde Leiss nicht zu einer Ausnahmeerscheinung im deutschen Kunsthandwerk geworden wäre. Am 12. September feiert sie mit der Eröffnung einer Retrospektive von 23 Künstlern (überwiegend Schmuck, inklusive Arbeiten von Hilde Leiss, aber auch Arbeiten aus Porzellan, Keramik, Textil und Holz) den 40. Geburtstag ihrer Galerie, die einst klein in der Mottenburger Schmuckschmiede startete. Die Entwicklung eines eigenen Stils als Schmuckmacherin wurde in der gemeinsamen Werkstatt mit Gudrun Maaß im Haus für Kunst und Handwerk Koppel 66 in St. Georg fortgesetzt. 1989 folgte dann ein großer Schritt, der in der Szene als übertrieben wagemutig angesehen wurde: Die Eröffnung der im hinteren Teil räumlich verbundenen Galerien von Hilde Leiss und dem auf Malerei spezialisierten Dirk Rose in einem der ältesten Kontorhäuser der Stadt am Großen Burstah. Es sprach einiges dafür, dass die neue Doppelgalerie mit ihrer überraschenden Liaison von angewandter und freier Kunst ein paar Nummern zu groß sein könnte.

Das Kunsthandwerk mit seiner zeit- und arbeitsintensiven Fertigung von Einzelstücken ist ein mühsames Geschäft, zumal die zwangsläufig höheren Preise auf Unkundige eher abschreckend wirken. Der Umsatz unterliegt starken saisonalen Schwankungen, und ohne die Teilnahme an Veranstaltungen wie der Messe für Kunst und Handwerk im Museum für Kunst und Gewerbe könnten selbst bekanntere Akteure der Szene kaum von ihrer Arbeit leben. Es schien also ein ungeheures Wagnis zu sein, dass Hilde Leiss sich mit hohen Investitions- und Fixkosten an den Großen Burstah wagte, der eher Kontorhausstraße als Flaniermeile ist.

Sie hatte jedoch das Potenzial des markanten Standorts mit seinen hohen lichten Räumen erkannt. Und folgte trotz des erheblichen Sanierungsbedarfs ihrem Bauchgefühl, ahnend, dass die Zeit reif sei für neue Konzepte. Es gab damals viel Bewegung in der internationalen Schmuckszene. Junge, gut ausgebildete und experimentierfreudige Goldschmiede sorgten für Belebung. Hilde Leiss hatte diese Tendenzen schon in St. Georg gezeigt, etwa 1983 mit der Avantgarde-Schau „Jewellery Redefined“. Das Werkstättenhaus in der Koppel war jedoch nicht der ideale Ort für derartige Ausstellungen. Wunschvorstellung der Goldschmiedin war eine Hamburger Galerie für Schmuckkunst nach dem Vorbild der avantgardistischen Electrum Gallery in London.
Bereits im ersten Jahr am Großen Burstah konnte sich Hilde Leiss bestätigt fühlen. An der Koppel hatte sie sich mit dem Verkauf sehr aufwendiger Stücke schwergetan. Am neuen Standort war die Nachfrage nach dem Besonderen so groß, dass schnell nachproduziert werden musste. „Am Burstah wurden auch höhere Preise akzeptiert“, sagt sie.

Hilde Leiss erweiterte das Sortiment schrittweise um andere Gewerke des Kunsthandwerks bis hin zu Hutmode und Kleidung. Sie machte sich in der Stadt rasch einen Namen als Adresse, wo Kunden das Besondere finden. Und sie wirkte stilbildend. „Norddeutschland war ein schwieriger Markt für neue Dinge — eine Stadt, wo Sinnlichkeit keine Rolle spielte“, sagt sie und hält sich zugute, dass sie viele Kundinnen dazu ermutigt hat, ihre Persönlichkeit durch auffälligen Schmuck selbstbewusst zu betonen. Was sie nicht schätzt, sind Ehemänner, die als Käufer von Geschenken beratungsresistent sind und den Satz parat haben: Meine Frau trägt alles, was ich ihr mitbringe.“

Bei der Auswahl ihres Sortiments fördert sie das, was ihr gefällt — zum Beispiel die Keamikerin Brigitte Morck oder den Holzkünstler Ernst Gamperl, dessen skulpturalen Gefäße inzwischen in Korea Höchstpreise erbringen. „Viele, die hier ausgestellt haben, sind international berühmt geworden“, sagt Hilde Leiss. Man müsste es kaum erwähnen: Sie ist so begeistert von vielem, was sie ausstellt, dass sie selbst oft kauft und zur Sammlerin geworden ist. Immer spielt ihr Bauchgefühl eine große Rolle, doch zuallererst entscheidet das Niveau:„Handwerkliche Qualität müssen die Arbeiten haben, sollten gut verarbeitet, aber auch kreativ und innovativ sein“, sagt sie — selbstverständlich gilt das auch für ihren eigenen, großformatigen, materialaufwendigen Schmuck, der in der eigenen Werkstatt mit sieben Mitarbeitern gefertigt wird.

Nicht zu vergessen ist die große unternehmerische Leistung in einem nicht einfachen Milieu. Hilde Leiss hat vor Jahren auch die benachbarten Räume von Dirk Rose übernommen, der sich aus dem Geschäft zurückzog. Mehr noch: Sie stemmte die höhere Miete auch in schwierigen Zeiten, überstand die wirtschaftlichen Krisen nach Nine Eleven 2001 und der Lehman-Pleite 2008. Am meisten zu schaffen macht ihr jedoch seit etwa zwölf Jahren die exzessive Bautätigkeit am Burstah, der dadurch zeitweise fast lahmgelegt war. Hilde Leiss erwies sich auch hier als erfindungsreiche Geschäftsfrau: Sie folgte dem Tipp einer Freundin, die wichtige Übersee-Schmuckmesse in Tucson/Arizona) zu besuchen. Daraus ergaben sich Einladungen als Ausstellerin auf hochpreisigen US-amerikanischen Kreuzfahrtschiffen. „Ohne dieses Engagement hätte ich die schwierige Zeit hier kaum überstanden“, sagt Hilde Leiss.

Das Übersee-Engagement hat sie inzwischen aufgegeben, die Bauarbeiten am Burstah aber bleiben ihr bis heute treu. Rechtzeitig zum Jubiläum hat die Stadt die neu gelegten Gehwegplatten direkt vor ihren beiden Schaufenstern und stellt wie in einer Leistungsschau die dort verlegten Kabelstränge aus.
Trotzdem ist sie auch mit 70 Jahren zuversichtlich. „Ich bin hier der letzte Mohikaner, so etwas wird’s hier nicht mehr geben.“